Interview mit Petra Bodenbach (Writer-Producer, „Hand aufs Herz“)

10. Juli 2011 – Archiv

Sie war verantwortlich für die Entwicklung der Serie „Hand aufs Herz“ und ist damit ein bisschen so etwas wie die Mutter von „Jenny“ und „Emma“. Dass Writer-Producer Petra Bodenbach selbst ein großer Fan der Liebesgeschichte zwischen den beiden ungleichen Schülerinnen ist, hat sie spätestens durch ihren Kommentar auf der Webseite „AfterEllen“ bewiesen, in dem sie geschrieben hat, wie sehr auch sie und das „Hand aufs Herz“-Team inzwischen in „Jemma“ verliebt sind.

Mit Rosalie & Co. hat sie unter anderem darüber gesprochen, wie es zu der Idee zu dieser Geschichte gekommen ist und wie sie sich den weltweiten Hype erklärt.

von MeL

Rosalie & Co.: Die Liebesgeschichte zwischen Jenny und Emma hat eine sehr positive Resonanz und sogar einen regelrechten „Jemma“-Hype ausgelöst, und dass nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wie kam es zu der Idee, bei „Hand aufs Herz“ auch eine Coming-Out-Geschichte zu erzählen?

Petra Bodenbach: Wir haben uns im Vorfeld der Serie sehr mit dem Thema Schule beschäftigt – wie ist die Atmosphäre an der Schule, wie sieht Schule heute aus – und eine Sache, die mich bei den Recherchen sehr, sehr erschrocken hat war, dass es im Jahr 2010/2011 tatsächlich an den Schulen noch so eine schwulen- und lesbenfeindliche Atmosphäre gibt, dass es kaum Schüler gibt – seien es Jungs, seien es Mädels – die sich trauen, sich offen zu ihrem Schwul- oder Lesbischsein zu bekennen. Dass in einem Alter, in dem man sich das erste Mal richtig groß und toll verlieben kann und wo die erste Liebe wirklich sehr schön sein kann, einige dazu gezwungen werden, sich und ihre Gefühle komplett zu verleugnen, das fanden wir alle untragbar, und das wollten wir erzählen. Solange „schwul“ das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen ist, war für uns klar, dass wir darüber etwas machen müssen.

R&C: War die Geschichte von Anfang an so vorgesehen?

PB: Wir hatten wie gesagt schon in der Konzeptphase den Gedanken, dass wir auf alle Fälle eine Coming-Out-Geschichte machen wollten. Aber wie das so mit Konzepten ist, sie werden umgeschrieben und es gibt Änderungen, und der Charakter, mit dem wir das eigentlich erzählen wollten, nämlich ein junger Mann, ist dabei rausgefallen und damit ist uns erstmal auch so ein bisschen die Geschichte verloren gegangen.

R&C: Wie sind Sie dann auf Jenny und Emma gekommen?

PB: Wir wollten diese Coming-Out-Geschichte auf alle Fälle machen und haben uns bei nächster Gelegenheit hingesetzt und geschaut, mit wem wir das machen können. So ist die Idee entstanden, das mit der neuen Figur zu machen, mit Jenny Hartmann. Auch diese Figur gab es schon in der Konzeptphase, und es war von Anfang an geplant, sie erst später reinkommen zu lassen. Wir haben uns überlegt, dass, wenn wir das mit Jenny und Emma machen, das sicherlich eine interessante und spannende Liebesgeschichte geben würde, weil Emma der Charakter ist, der am weitesten von Jenny entfernt ist. So ist der Grundgedanke für die Geschichte entstanden.

R&C: Eine der Besonderheiten der Liebesgeschichte von Jenny und Emma ist, wie lange es gedauert hat, bis die beiden sich überhaupt angenähert haben, geschweige denn zusammengekommen sind. Was war die Überlegung hierbei?

PB: Es war von Anfang an klar, dass wir das ganz, ganz langsam erzählen wollten, um den Zuschauern die Möglichkeit zu geben, da auch wirklich mitzugehen und nachzuvollziehen, was da gefühlsmäßig und gedanklich bei diesen beiden los ist; dass die sich ineinander verlieben, obwohl die sich eigentlich gar nicht ineinander verlieben wollen und eigentlich sehr weit voneinander entfernt sind, um sich gegenseitig als potenzielle Partner zu sehen. Wir wollten sehr glaubhaft und nachvollziehbar erzählen, dass das halt passieren kann, dass man plötzlich unter den knapp 7 Mrd. Menschen auf diesem Planeten den oder die eine oder einen trifft, der oder die etwas Besonderes für einen ist, und dass man diese Gefühle, die man dann hat, auch nicht mehr verleugnen kann, obwohl man sich große Mühe gibt.

R&C: Können Sie sich selbst diesen Hype um die Liebesgeschichte von Jenny und Emma erklären?

PB: Ich könnte mir vorstellen, dass es damit zusammenhängt, dass es eine sehr universelle Geschichte ist. Es geht um Liebe, und das ist völlig unabhängig davon, ob es zwei Frauen sind, die sich ineinander verlieben, oder zwei Männer oder ein Mann und eine Frau. Das war vor 100 Jahren schon so und das wird in 100 Jahren auch noch so sein, dass es diese Liebesgeschichten gibt und dass man sich davon gefangen nehmen lässt. Das könnte auch eine Erklärung sein, warum diese Geschichte auch für Leute am anderen Ende der Welt so attraktiv ist, weil Liebe etwas ist, das einen immer berührt.

Außerdem wird die Geschichte sicherlich in anderen Ländern noch einmal anders wahrgenommen, in denen die Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit noch viel, viel größer ist, als wir es in Deutschland erleben. Die Leute dort erhalten die Möglichkeit, sich mit Serienfiguren zu identifizieren und mitzufiebern, weil sie das, was die beiden da erleben, auch kennen.

R&C: Man hört immer so viel von der positiven Resonanz und dem „Hype“. Auf der anderen Seite gibt es leider auch bei uns immer noch sehr viel Homophobie, nicht nur an Schulen. Gab es denn gar keine negativen Reaktionen?

PB: Nein, und das ist wirklich erstaunlich und bemerkenswert, aber soweit ich gehört habe gab es keine negative Kritik und auch keine negativen Kommentare zu dieser Geschichte.

R&C: Haben Sie auf den „Hype“ reagiert, indem sie zum Beispiel die Geschichte anders weitererzählt haben, als das eigentlich gedacht war?

PB: Wir haben sehr große Vorläufe, vom Plotten der Geschichte bis zur Ausstrahlung sind es vier bis fünf Monate. Das Gute ist aber, dass wir uns schon früher entschieden haben, dass wir die Geschichte auf alle Fälle weitererzählen und den beiden auch Raum dafür geben wollen, nämlich als wir gesehen haben, wie toll Kasia Borek und Lucy Scherer die Geschichte interpretieren, und gemerkt haben, dass das funktioniert. Es macht uns auch selber so viel Spaß, die Geschichte zu erzählen und zu schauen, was Lucy und Kasia daraus machen. Dass es und auch wie es weitergeht war also schon klar, bevor wir diese ganze positive Resonanz bekommen haben – über die ich mich übrigens irrsinnig freue.

R&C: Sie haben vor „Hand aufs Herz“, das inzwischen auch unter dem Label Telenovela läuft, schon an anderen Telenovelas mitgearbeitet, unter anderem „Wege zum Glück“ und „Anna und die Liebe“. Glauben Sie, dass es eines Tages eine Telenovela geben könnte, in der ein lesbisches oder schwules Paar die Hauptfiguren sind?

PB: Ich würde es mir wünschen! Ich glaube aber, dass die Sender noch nicht so weit sind. Fernsehen ist einfach immer noch ein Massenmedium, und so erfolgreich die Jenny & Emma-Geschichte auch ist, es ist doch immer noch eher etwas für ein Randgruppenpublikum als für das Massenpublikum. Aber wer weiß, vielleicht traut sich ja irgendwann mal ein Sender, genau das zu machen, das würde mich sehr freuen und ich wäre auf alle Fälle dabei.